Rituale- Wurzeln in Zeiten des Umbruchs

Wir benötigen Wurzeln, um fest stehen zu können, auch wenn um uns mal alles stürmt und tobt. Diese Erdung stellt sicher, dass wir uns nicht in Luftschlössern verlieren, sondern aktiv handeln können. Sie schenkt uns Stärke.Gerade in schweren Zeiten ist es gut, zu wissen, wo man steht und in bewegten Zeiten hilft es, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu bleiben. 

Ein Umzug ist eine solche "bewegte Zeit". Was können wir als Eltern tun, dass es unseren Kindern bei einem Umzug nicht buchstäblich den Boden unter den Füßen wegzieht? 

Wie schaffen wir  als Eltern die Wurzeln für unsere Kinder, die ihnen den Halt geben, den sie während eines Umbruchs brauchen? Die Antwort lautet: durch tägliche Routinen und Rituale.

Routinen und Rituale stärken Kinder

Viele Studien haben inzwischen bewiesen, dass Routinen und Rituale Kinder stärken. Sie werden selbstbewusster, sind ausgeglichener, können sich besser konzentrieren und sind nicht so leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen. 

 

Einige von euch werden vielleicht beim Lesen bereits über meine etwas umständliche  Schreibweise gestolpert sein und sich fragen:  Warum macht sie sich die Mühe und schreibt immer von beidem -Routinen und Ritualen- sie könnte sich doch für eine Schreibweise entscheiden? Das wäre einfacher und zudem besser lesbar! In vielen Artikeln zu dem Thema werden Rituale und Routinen auch tatsächlich meistens als Synonyme verwendet- obwohl sie nicht ganz dasselbe sind. In einem nicht-mobilen Leben an einem Ort ist diese kleine, sprachliche  Ungenauigkeit auch nicht von Bedeutung, doch bei unserem mobilen Lebensstil macht der kleine Unterschied zwischen beiden sich sehr deutlich bemerkbar. 

Der kleine - aber nicht unbedeutende- Unterschied zwischen Routinen und Ritualen

Gerade für mobile Familien ist es wichtig, zwischen Ritualen und Routinen zu unterscheiden, denn als mobile Familien können wir bei Umzügen leider überwiegend nur auf eine der beiden bewährten Methoden zurückgreifen, um unsere Kinder zu erden: die Rituale. Schade, aber warum ist das so?

Routinen

Routinen sind Abläufe, die zur Gewohnheit geworden sind. Sie laufen unbewusst ab und ergeben sich auch häufig aus der Umgebung. z.B. gleiche Wege, gleiches Sortiment im Supermarkt um die Ecke, die Abfahrtszeiten der öffentlichen Verkehrsmittel, der Postbote kommt immer zur gleichen Uhrzeit, ....

Bei einer Routine steht im Vordergrund, dass etwas erledigt wird.

Routinen helfen das Leben stressfreier zu gestalten, da man sich nicht jedesmal um bestimmte Abläufe Gedanken machen muss, da sie automatisiert ablaufen.

vs. Rituale

Rituale sind Abläufe oder Dinge die wir wiederholt bewusst  tun und dadurch meist auch bewusst genießen. Rituale dienen dadurch auch einem bestimmten Zweck und haben einen psychologischen Effekt.

z.B. das Vorleseritual vor dem zu Bett gehen: hier wird nicht nur eine Geschichte gelesen sondern auch gekuschelt und damit Geborgenheit vermittelt. Das morgendliche Lüften wird zum Ritual, wenn dadurch nicht nur nebenbei frische Luft ins Zimmer geholt wird, sondern durch einmal tiefes Einatmen, die Augen schließen, den Morgenduft bewusst wahrnehmend, wird dadurch aus einer Routine ein Ritual mit den Zweck den Tag positiv gestimmt zu begrüßen. 


Umziehen und Einleben bedeutet alte Routinen aufgeben und peu a peu neue Routinen finden

Routinen ergeben sich also häufig aus den örtlichen Gegebenheiten z.B. bei uns: aus dem Weg zwischen Kindergarten von Kind2 und Weg zur Schule von Kind1 sowie meinem eigenen Arbeitsweg ergibt sich dann folgende morgendliche Bring-Routine: ich begleite meine Tochter mit meinem Sohn bis zur ersten Weggabelung, dort gibt es einen Abschiedskuss von mir und dem Bruder und die Tochter verwindet in Richtung Schule. Danach geht es weiter zum Kindergarten. Dort helfe ich dem Sohn die Jacke aufzuhängen und die Hausschuhe anzuziehen. Dann gibt es einen Abschiedskuss für Sohnemann und ich mache mich auf den Weg zur Arbeit. Wenn man nach den obigen Definitionen geht, ist die Reihenfolge des Weges die Routine und die Abschiedsküsse sind die Rituale. Wenn wir nun umziehen, ändern sich oftmals die täglichen Routinen, da die örtlichen Gegebenheiten verändert sind. Bis man sich wieder eingelebt hat- was nichts anderes ist als dass sich neue Routinen eingespielt haben-  bleiben also noch die Rituale, die man erhalten kann, um ein bisschen Kontinuität in das anfängliche Chaos zu bringen. Dazu ist es hilfreich wenn die Rituale nicht ortsgebunden sind. Ich bin zum Beispiel froh, dass wir das abendliche Baden nicht zu einem Ritual gemacht haben. In unserem jetzigen Haus gibt es nämlich keine Badewanne, sondern nur eine Dusche. 

 


„Rituale sollten Leitplanken sein keine Mauern sonst sehen wir nicht mehr was dahinter ist“ (Urheber unbekannt)


Natürlich kann man auch Rituale an Gegebenheiten anpassen und so neue Rituale entwickeln. An bedeutungslosen Ritualen festhalten widerspricht der Definition von Ritualen.  Von Zeit zu Zeit muss man Rituale sowieso anpassen- da die Kinder heranwachsen und gewissermaßen aus einigen Ritualen auch herauswachsen werden. Rituale begleiten und leiten uns also eine zeitlang, aber sobald man sie zementiert stehen sie vielleicht irgendwann nur noch im Weg und werden lästig. 

Ein kurzes Ritual-Brainstorming kann aber so oder so nicht schaden

Wir ersparen uns und unseren Kindern vielleicht  einige stressige Momente wenn wir uns vor dem Umzug einmal kurz Gedanken machen

 

a) welche Rituale wir in unserer Familie pflegen

 

b) welche davon wir auch gut in der neuen Heimat- vor allem in der turbulenten Übergangszeit- weiterführen können 

 

c) welche Rituale mit etwas Planung auch weiter beibehalten werden können und welche Vorkehrungen dafür getroffen werden müssen und 

 

d) von welchen Ritualen wir uns als Familie verabschieden müssen und diese gegebenenfalls durch Alternativen ersetzen müssen. Diese Abschiede wenn möglich schon vor dem Umzug thematisieren und zelebrieren und ggf. mit den Kindern gemeinsam Alternativen überlegen und vielleicht schon einführen. Denn in gewohnter Umgebung fällt der Wechsel vielleicht leichter. 

Zum Schluss wie immer ein persönlicher Einblick in unsere Vorbereitungen zu diesem Thema, für diejenigen, die es interessiert:

Unser Ritual-Brainstorming vor unserem Umzug in die USA

Unter a) konnten wir folgendes festhalten:

Vorlesen am Abend 

warme Milch am Abend für den Kleinen in seinem speziellen Becher (Schnabeltasse)

Rückenmassage am Abend für die Große

gemeinsames Abendessen

Freitag ist Fernsehtag

Abschiedskuss am Morgen

Sonntagsfrühstück mit Brötchen und weichgekochten Eiern

Urlaub im Wohnwagen

Geburtstagstisch mit spezieller Tischdecke und Geburtstagszug mit Kerzen

Weihnachtenfeiertage bei Omas und Opas mit Tanten und Onkeln (großes Familienfest)

 

b)mitnehmen können wir fast alle Rituale, da sie größtenteils ortsungebunden sind.

 

c) lediglich für die warme Milch am Abend müssen wir an den den Trinkbecher im Gepäck denken und im Hotel fragen, ob es eine Möglichkeit gibt Milch zu bekommen und aufzuwärmen (das könnte schon eher schwierig werden)

Da unsere beiden genau in der Umzugsperiode Geburtstag haben ( Anfang August und Anfang September) wenn die Container noch auf See sind müssen wir daran denken, die Geburtstagstischdecke und den Geburtstagszug per Luftfracht zu schicken, damit wir am Geburtstag unseren traditionellen Geburtstagstisch aufbauen können.

Urlaube im Wohnwagen bieten sich in den USA geradezu an. Wir müssen uns also nur darum kümmern einen neuen Wohnwagen zu mieten oder für die 3 Jahre zu kaufen. Vom alten Wohnwagen haben sich die Kinder mit einem "Abschiedsurlaub" im Mai verabschiedet.

 

d)das Sonntagsfrühstück müssen wir gegebenenfalls anpassen, da es in den USA vermutlich keine typisch deutschen Brötchen beim Bäcker um die Ecke geben wird.

Für den Weihnachtsurlaub haben wir geplant nach Deutschland zu reisen. Allerdings werden wir nur eine Woche Weihnachtsferien in den USA haben. Es könnte also stressig werden, die 12 Stunden Flug für die paar Tage Weihnachtsurlaub auf sich zu nehmen.Vielleicht ist es uns das trotzdem wert. Vielleicht müssen wir uns aber auch von unserer bisherigen Art, Weihnachten zu feiern, verabschieden. Das wird sich mit der Erfahrung zeigen. 

 

Bleibt zu hoffen, dass unsere überschaubaren Rituale den Kindern einen sicheren Hafen bieten können um von dort aus gestärkt die neue Welt zu entdecken.