Wenn ich mit Eltern in Expatkreisen spreche- und damit sind nicht nur deutsche Expateltern gemeint- die gerade erst umgezogen sind oder bei denen die Erinnerung an den Umzug noch recht frisch ist, dann gibt es eine Mehrheit, die davon berichtet, dass sie überrascht waren vom ungewohnten Verhalten ihrer Kinder. Sie haben es als sehr anstrengend empfunden und haben sich teilweise hilflos gefühlt. Unverständnis und schmähende Blicke aus dem neuen sozialen Umfeld wurden als unangenehm empfunden. Plötzlich hat man aus Sicht der Anderen ein „Problemkind“.
Viele können nicht nachvollziehen wie überwältigend ein Umzug ins Ausland sein kann. Wie sehr einen das Verlassen der Komfortzone verunsichern und stressen kann. Das gilt auch und gerade für unsere Kinder. Ja, sie sind Anpassungsweltmeister- auf lange Sicht gesehen. Sie werden sich irgendwann besser integriert haben als wir Erwachsenen. Aber Anpassungsweltmeister bedeutet nicht: von einem Tag auf den anderen. Wie schaffen wir es also, den Anfang im neuen Land so zu gestalten, dass unser Kind nicht gleich den Stempel "Problemkind" aufgedrückt bekommt?
Das Umfeld sensibilisieren
Unabhängig vom Charakter brauchen auch Kinder Zeit sich kulturell anzupassen. Sie müssen all die neuen Eindrücke verarbeiten, die neuen sozialen Codes entschlüsseln und die neue Sprache erlernen. Das braucht Zeit, die man ihnen und sich auch geben sollte. Es hilft gegebenenfalls auch die Lehrer und das soziale Umfeld dafür zu sensibilisieren, indem man sie eben darauf hinweist, was die Kinder gerade täglich leisten müssen, um sich einzuleben. Das führt oft zu mehr Verständnis und Hilfsbereitschaft im sozialen Umfeld. In meinem Einleben-Paket habe ich auch eine Handreichung für Lehrer*Innen und Erzieher*Innen bereitgestellt, die ihr als Eltern an die Schule oder den Kindergarten weitergeben könnt.
Auch können Kontaktversuche der Kinder missverstanden werden oder als unangebracht angesehen werden. Alte Kontaktmuster funktionieren in einer neuen Kultur manchmal nicht mehr. Die Kinder probieren daher andere Verhaltensweisen aus um integriert zu werden. Oft ecken sie damit noch mehr an. Und da ist es schon wieder, das Label „Problemkind“. Wenn wir die Lehrer und Erzieher dafür gewinnen könnten, dieses Verhalten als kreativen Versuch in Kontakt zu treten zu sehen anstatt als problematisches Verhalten, wäre auch schon viel gewonnen.
Hinzu kommt, dass der Mensch in der Regel ein Gewohnheitstier ist. Durch Gewohnheiten schafft man sich seine eigene Komfortzone. Die Komfortzone zu verlassen ist immer unbequem. Kinder sind zwar neugieriger und entdeckungsfreudiger als wir Erwachsenen, aber eine Komfortzone haben und brauchen sie auch. Fällt diese vorrübergehend zum größten Teil weg, ist das für Kinder auch anstrengend. Wir Eltern wissen, dass sie daran enorm wachsen werden, aber Kindern ist diese Weitsicht schwer zu vermitteln. Je jünger sie sind, desto mehr leben sie im hier und jetzt. Und im Moment ist das Einleben für unser Kind eben gerade nicht einfach. Uns Eltern kann es helfen, die Perspektive unseres Kindes einzunehmen, um so verständnisvoller auf sie eingehen zu können.
Verständnis für das Verhalten von Kleinkindern aufbringen
Neben den kulturellen Anpassungsschwierigkeiten und dem Verlassen der Komfortzone -mit dem im Übrigen auch wir Erwachsenen häufig zu kämpfen haben- kommt die entwicklungspsychologische Seite hinzu:
Je jünger die Kinder sind, desto weniger können sie sich artikulieren (also Gefühle mitteilen und Fragen stellen) und Emotionen reflektieren und kontrollieren.
Kleinkinder sprechen überwiegend durch ihr Verhalten oder suchen sich anderweitig Ventile. Gerne werden hier positive Verhaltensmuster übersehen.Viele Kinder malen beispielsweise vermehrt oder finden plötzlich Interesse daran, wenn sie einen Kindergarten besuchen, in dem nicht die Muttersprache gesprochen wird. Es ist eine Strategie für die Kinder sich in den Kindergartenalltag zu integrieren ohne sprechen zu müssen, gleichzeitig ist es ein Ventil, da Eindrücke durch malen verarbeitet werden können. Beachtung finden aber häufig nur die negativen Verhaltensweisen und Ventile. Körperliche Symptome wie Bettnässen, Schlafstörungen, Neurodermitis beispielsweise können solche negativ bewerteten Ventile sein. Oft ziehen sich Kinder auch in bereits überwundenes Verhalten zurück, um mehr Sicherheit zu gewinnen. Sie kommen beispielsweise nachts wieder ins Elternbett, fangen wieder an Daumen zu lutschen oder wollen ihr Kuscheltier wieder überall hin mitnehmen. Auch das wird eher als Rückschritt und damit als negativ gesehen, obwohl es auch eine sehr gute Stressbewältigungsstrategie ist sich in Altbekanntes zurück zu ziehen und dann mit wieder gewonnener Sicherheit aus zu ziehen, um Neues zu entdecken.
Ob nun negativ oder positiv verändertes Verhalten, wir können jedenfalls daran festmachen, dass der Umzug unser Kind bewegt. Auffälliges Verhalten ist also ein hilfreicher Gradmesser für uns Eltern, gerade wenn die Kinder sich noch nicht sprachlich mitteilen können. Unsere Aufgabe als Eltern ist es nicht unser Kind deshalb sofort in eine Therapie zu stecken, sondern unsere Aufgabe ist es zu entschlüsseln, was unser Kind uns mit seinem Verhalten mitteilen möchte. Hier können wir uns als Eltern Hilfe holen, denn es ist nicht immer einfach die Signale eines Kleinkindes zu entschlüsseln und angemessen zu reagieren. Erst wenn nach 5 Monaten das auffällige Verhalten immer noch besteht, ist es Zeit einen Kinder-und Jugendpsychiologe*In hinzuziehen.
Vielleicht reduziert sich das auffällige Verhalten bei euren Kindern aber auch nur darauf, dass sie essen wie Scheuenendrescher. Das Gehirn braucht mehr Nahrung, da es aufgrund der neuen Situation auf Hochtouren arbeitet. Vielleicht sind sie müder als sonst, weil das Einleben in den Alltag mit neuer Sprache und Kultur anstrengend ist.
Vielleicht fällt es aber auch äußerst extrem aus: täglich aggressives Verhalten, tägliche Wutausbrüche, allabendliches sich in den Schlaf weinen, Verweigerungshaltung,.....ich könnte die Liste hier unendlich fortführen. Euch Eltern sei gesagt: keine Panik, ihr habt nichts falsch gemacht und es bleibt auch nicht für immer so.
Verhaltensauffälligkeiten auch bei Älteren Kindern nicht abwerten
Hier möchte ich klarstellen, dass in diesem Fall auffälliges Verhalten gemeint ist, dass nach dem Umzug auftritt und vorübergehnder Natur ist. Auffälliges Verhalten, dass sich über Monate hinzieht bedarf irgendwann einer professionellen Abklärung. Auffälliges Verhalten nach einem Umzug kann sich auch über Wochen ziehen. Sollte es sich jedoch über Monate hinweg ziehen, ist es ratsam sich eine Einschätzung von fachlich geschulten Personen einzuholen. Etwa einen Sozialpädagogen, Kinder-und Jugendcoach oder Psychologen. Im besten Fall sollten diese Person sich mit den Auswirkungen von Auslandsumzügen auf Kinder auskennen. Eine gute Quelle ist hier das International Therapist Directory oder sprecht mich gerne an, ich habe auch einige Kolleg*Innen an der Hand, die ich empfehlen kann.
An sich ist es aber erst einmal normal und ok wenn auch bereits ältere Kinder auffälliges Verhalten zeigen.
Denn was ist eigentlich auffälliges Verhalten? Es ist ein Verhalten das auffällt, weil es sich einerseits abhebt vom bisherigen Verhalten des Kindes und/oder weil es nicht der entwicklungspsychologischen Norm entspricht. Auffälliges Verhalten erkennen wir Eltern ziemlich schnell, denn wir wissen wie sich unser Kind im Alltag verhält und bemerken daher auch kleine Abweichungen im Verhalten. Diese Abweichungen können den Alltag mehr oder weniger beeinträchtigen und mehr oder weniger nach außen hin sichtbar für das soziale Umfeld sein.
Klar ist aber, unsere Kinder reagieren auf die fundamentale Veränderung, die ein Umzug mit sich bringt. Und das ist etwas Positives: es bedeutet, dass sie sozial kompetent sind. Sie können Unterschiede in ihrem sozialen Umfeld wahrnehmen und versuchen mit ihrem Verhalten diese Veränderung zu verarbeiten.
Den Stress den dieses Wahrnehmen auslöst, können sie auch im Grundschulalter oftmals noch nicht differenziert genug in Worte fassen und sie haben noch nicht ausreichend gesellschaftsfähige Strategien entwickelt, um den Stress zu verarbeiten. Deshalb reagieren sie mit impulsiven Verhalten. Es überkommt sie einfach. Je älter die Kinder sind, desto mehr verstehen sie aber auch, dass sie ihre Emotionen nicht im neuen sozialen Umfeld zeigen sollten, in das sie sich als soziales Wesen integrieren wollen. Denn es könnte negative Auswirkungen für sie haben. Die Gefahr ausgeschlossen zu werden bzw. bestraft zu werden beispielsweise. In Schule und Kindergarten versuchen sie also sozial zu funktionieren, um angenommen zu werden. Kleinkindern sind negative Auswirkungen im sozialen Umfeld egal, weil sie noch sehr auf die Eltern fixiert sind. Deshalb schmeißen sie sich auch gerne mal ohne Scham wild schreiend im Einkaufsladen auf den Boden. Für größere Kinder bleibt nur noch der vertraute Raum in der Familie, wo man im besten Fall sein darf wie man ist, weil man trotzdem geliebt wird und all seine Gefühle offen zeigen kann, weil kein Gefühl mit einem Tabu belegt wurde. Das führt dann oftmals dazu, dass die Kinder ihren emotionalen Frust, die Trauer, die Wut ungefiltert zu Hause rauslassen und wir Eltern uns wie die Blitzableiter in einem schweren Gewitter fühlen.
Im Umkehrschluss heißt das aber auch: wir haben unserem Kind bereits erfolgreich vermitteln können, dass wir es bedingungslos lieben und dass es mit allem was es auf der Seele hat zu uns kommen kann – auch wenn uns das manchmal auch selbst an unsere Schmerzgrenze bringt.
Wir haben erfolgreich vermieden ihnen zu vermitteln, dass sie auch zu Hause nur funktionieren müssen. Die Ausgangslage ist also eine gute. Jetzt können wir gemeinsam mit unserem Kind daran arbeiten, wie es sich besser mitteilen kann ( bitte das Alter beachten und die Anforderungen nicht zu hoch stecken!) und welche Strategien hilfreich sind um mit den neuen Herausforderungen umzugehen.
Falls ihr euch darin unsicher fühlt, wie genau ihr mit eurem Kind daran arbeiten sollt, könnt ihr mich gerne kontaktieren. Oft hilft ein einmaliges Beratungsgespräch schon um hilfreiche Ideen und Impulse zu bekommen. Ein paar Ideen habe ich auch auf dieser Liste auf Pinterest für euch zusammengestellt. Weiterhin Liebe, Verständnis und das Anerkennen aller aufkommenden Gefühle sind auf jeden Fall schon mal eine gute Basis.
Keine Verhaltensauffälligkeiten? Enjoy!
An die Eltern deren Kinder nicht verhaltensauffällig sind nach einem Umzug:
nein, ihr habt auch nichts falsch gemacht!
Eure Kinder können sich vielleicht bereits schon besser mitteilen, sind generell härter im Nehmen oder haben bereits durch vorhergehende Umzüge Strategien entwickelt mit den Veränderungen umzugehen. Ihr müsst nicht nachbohren, ob da vielleicht „doch was ist“. Solange ihr mit euren Kindern in Beziehung seid und ihr dadurch ein Gespür dafür habt, ob euer Kind etwas bedrückt oder nicht, müsst ihr nichts groß tun. Genießt, dass es so reibungslos geklappt hat!
Falls ihr das Gefühl habt, dass ihr gerade so gar nicht an euer Kind ran kommt oder gerade gar kein Gespür dafür habt, wie es ihm gehen könnte: auch hier nicht nachbohren, das bewirkt meistens, dass sich die Kinder noch mehr verschließen. Lieber mehr gemeinsam unternehmen. Irgendwann auf einer Wanderung, beim gemeinsamen Kochen oder nach dem Wellenreiten im Meer kommt vielleicht einer dieser Momente, bei dem euer Kind sich öffnet und mitteilt.
Wie es bei uns bisher lief
Als Mama kenne ich meine Kinder jetzt 5 und 8 Jahre und als Sozialpädagogin kann ich Entwicklungen auch fachlich fundiert abschätzen.
Ich rechnete also eher damit, dass mein 5jähriger Sohn derjenige ist, der sich schwer tut, weil es für ihn erst der 2.Umzug ist und eigentlich erst der erste, den er bewusst miterlebt. An den Umzug mit 2 Jahren kann er sich nicht erinnern. Ich habe ihn mal gefragt.
Meiner Tochter traute ich mehr zu, weil dies ihr 5.Umzug ist und sie somit schon auf einen gewissen Erfahrungsschatz zurückgreifen kann. Auch der Englischunterricht hat bei ihr deutlich mehr gefruchtet als bei meinem Sohn. Sie ist außerdem extrovertierter als ihr Bruder, der sich oft selbst als schüchtern bezeichnet.
Aber was soll ich sagen: ich wurde von meinen Kindern überrascht! Beim Kleinen von Schüchternheit keine Spur. Die ersten zwei Tage wollte er nicht so recht und er war unendlich müde in der ersten Woche und deshalb auch etwas quengelig. Aber ab der zweiten Woche konnte ich ein unbekümmertes Kind zum Kindergarten bringen und abholen. Kein Klammern, kein Weinen, kein Drama- auf das ich mich eigentlich innerlich schon eingestellt hatte.
Dafür tat sich meine Tochter nicht so leicht wie von mir vermutet. 3.Klasse ist anspruchsvoller als Kindergarten, das muss man auch im Hinterkopf behalten. Die ersten Tage überwog die Aufregung. Neue Lehrer, neue Kinder, neues Schulgebäude und an der Schule gibt es für jedes Kind ein eigenes Tablet zum Lernen. Das hat es erstmal rausgerissen. Aber dann kam der Einbruch. Abends ging das Gejammere los: die Schule sei blöd, sie wolle da nicht mehr hin. Sie verstehe nix. Sie wisse auch nie was für ein Fach sie haben, weil die Lehrerin das aktuelle Fach nicht wie an der alten Schule an die Tafel schreibe....und und und. Ich versuchte ihr Zuversicht zu vermitteln. Es würde bald besser werden. Bis Weihnachten versteht sie bestimmt alles. Mein zureden war wenig erfolgreich. Sie wollte nicht mehr in die Schule. Ich versuchte ihr zu erklären, dass "Kopf in den Sand stecken" keine besonders gute Strategie ist. Playdates mit deutschen Familien halfen, dass sie wenigstens nicht den gesamten Umzug doof fand. Das Gejammere paarte sich schließlich mit Aggression. Das kannte ich schon von unserem Umzug nach Belgien, als sie 2,5 Jahre alt war. Damals war sie auch ein sehr ärgerliches Kleinkind gewesen. Spielzeug flog damals zuhauf durch die Gegend. Schreinen, Stampfen, auf dem Boden werfen. Das gesamte Programm . Damals war ich ziemlich hilflos. Es ging irgendwann vorbei, aber nicht durch mein aktives Tun. Eher nach dem Motto:"Die Zeit heilt alle Wunden." Was also tun? Ich wollte nicht das es wieder eskaliert wie damals. Als ich mich für den letzten Blogartikel mit dem Thema Abschied auseinander setzte, stolperte ich in einem Artikel über Trauerbewältigung über diesen Satz: "Trauer kann sich auch in Form von Wut äußern." Also gut, dachte ich, probieren wir mal den Ansatz. Als sich bei meiner Tochter mal wieder die aggressive Stimmung entlud, fragte ich sie also, ob sie ihre alte Schule vermisste, die Lehrerin und ihre Klassenkameraden. Und da brach sie in Tränen aus und sagte ja und wir saßen da und trauerten ziemlich lange bis sie dann endlich einschlief. Innerlich tat mir das Mamaherz weh, aber seitdem geht es stetig bergauf. Beim letzten Icecream Social (ein Nachmittag für Eltern und Kinder an ihrer Schule) hüpfte sie fröhlich zwischen ihren Schulkameraden umher, unterhielt sich in ihrem noch unbeholfenen Englisch und genoss den Tag. Kein Gejammere am Abend mehr über die blöde Schule- manchmal morgens noch, aber das liegt eher an der Müdigkeit ;)