Ein Pluspunkt für Kinder von mobilen Familien ist es, eine Fremdsprache quasi nebenbei zu erlernen, einfach indem Sie in einem fremden Land mit einer fremden Sprache leben. Sie müssen dafür keine Schulbank drücken und lernen die Sprache dazu noch akzentfrei zu sprechen. Dennoch ist es gerade am Anfang auch schwer. Eine Sprache lernt sich eben nicht von heute auf morgen. Eltern, Lehrern und Erziehern geht es manchmal nicht schnell genug oder das Kind "entzieht" sich der neuen Sprache, spielt beispielsweise nur mit dem einzigen anderen deutschen Kind in der Gruppe oder wendet sich immer an die eine Lehrerin, die auch rudimentär deutsch spricht.
Und dann geht sie los, die gut gemeinte Sprachförderung:
Die Lehrerin gibt extra Sprachaufgaben mit nach Hause, die Erzieherin ermutigt dazu dem Kind nur noch Bücher in der neuen Sprache vorzulesen, es wird empfohlen zu Hause möglichst auch nur noch in der neuen Sprache zu kommunizieren- O- Ton einer Grundschullehrerin: "Sprechen Sie mit ihrem Kind ruhig auch ausschließlich englische zu Hause. ". Eltern reduzieren Playdates mit anderen deutschen Kindern und vereinbaren stattdessen vermehrt Playdates mit Einheimischen. Alles in der Hoffnung, das Kind möge doch nun endlich nach 6 Monaten fließend sprechen. Schließlich wird doch immer behauptet Kinder würden Fremdsprachen schneller und problemloser erlernen als Erwachsene und aus der alten Heimat kommen auch schon ständig Nachfragen, ob das Kind denn nun schon die neue Sprache beherrscht.
Muttersprache- mehr als nur Verständigungsinstrument
Dabei wird häufig übersehen dass die Muttersprache der Schlüssel zur Seele ist. Sprache ist nicht nur funktional für den Austausch von Sachinformationen konzipiert. Wir können mit Hilfe der Sprache auch so etwas abstraktes wie unsere Gefühle in Worte fassen und über dieses Präzise-in-Worte-fassen uns wiederum klarer werden über unsere Gefühle. Wir können uns präziser ausdrücken und fühlen uns besser verstanden, weil wir uns selbst plötzlich besser verstehen.
Muttersprache als Schlüssel zur Seele
Zudem geht uns die Muttersprache sprichwörtlich "leichter über die Lippen". Wir müssen nicht verkrampft nach Worten suchen und gestresst die Worte zu einem Satz zusammenfügen, der am Ende Sinn ergeben soll. Wir benutzen Dialektwörter und Wortschöpfungen die im Alltag des Familienlebens entstanden sind, die aufgeladen sind mit positiven Emotionen und verknüpft sind mit Erinnerungen- und für die es kein Äquivalent in der neuen, fremden Sprache gibt.
Als Sozialpädagogin gehe ich soweit zu sagen, dass Muttersprache eine Komfortzone ist in der wir uns aufgehoben fühlen, in der wir auftanken können, weil wir so sein dürfen, wie wir es bisher waren- vor dem neuen Land und der neuen Sprache. Und so sehr Einigkeit darüber besteht, dass das größte Wachstum außerhalb der Komfortzone stattfindet- das Krafttanken und die Energiezufuhr für eben dieses Wachstum findet meines Erachtens in der Komfortzone statt.
Wir tun also gut daran unseren Kinder ihre sprachliche Komfortzone nicht wegzunehmen nur um unser Kind schneller dazu zu animieren die neue Sprache zu sprechen. Wir laufen Gefahr dadurch den Zugang zur Gefühlswelt unserer Kinder zu verlieren und ihnen einen Rückzugsort zu nehmen, an dem sie ihr seelisches Gleichgewicht wieder herstellen können.
Muttersprache als Referenzmodell für den Fremdsprachenerwerb
Und einen weiteren Grund gibt es, die Muttersprache nicht zu vernachlässigen: die neuesten Befunde aus den Sprachwissenschaften. Ergebnisse neuester wissenschaftlicher Studien legen nahe: das Rezept, um möglichst gut eine Zweitsprache zu erlernen, ist eine möglichst gut ausgeprägte Muttersprache.
"Wird eine Muttersprache nicht richtig gefördert, auch durch Sprechen, Lesen, Hören usw. dann baut sie sich einfach nicht richtig auf. Das passiert also immer dann, wenn der Prozess des Erwerbs der Muttersprache früh abgebrochen wird, auch durch Migration oder wenn sie vernachlässigt wird, weil die Kinder mit Ihren Eltern nicht sprechen oder aber auch das Erlernen einer Zweitsprache aufgezwungen wird. Dann kommt es dazu, dass eine Muttersprache nicht richtig gefördert werden kann. Das ist fatal. Weil das Referenzmodell der Muttersprache fehlt." erklärt Sprachwissenschaftler Heiner Böttger in diesem interessanten Beitrag des Deutschlandfunk Kultur."Das heißt im Umkehrschluss: Wenn die Muttersprache gut gefördert wird- und zwar möglichst bis zum vierten oder fünften Lebensjahr- kann ein Kind dazu problemlos jede beliebige Sprache lernen. Akzentfrei und spielend. Und zwar auch wenn es zu Hause nie zuvor damit in Berührung gekommen ist." heißt es in dem Artikel weiter.
Wem meine sozialpädagogische Sicht also zu schwammig oder zu weit hergeholt war, den konnten vielleicht die Erkenntnisse der Sprachwissenschaften davon überzeugen, dass die Rolle der Muttersprache auch oder gerade im Ausland nicht zu unterschätzen ist.