Was tun, wenn Kinder nach dem Auslandsumzug leiden? Umgang mit Trauer bei Kindern

Wir haben uns die Entscheidung nicht leicht gemacht. Haben immer wieder die Pros und Kontras eines Auslandsumzugs für alle Beteiligten- und für unsere Kinder im Besonderen- abgewogen. Die Vorteile haben schlussendlich überwogen- ob nun deutlich oder knapp tut meist nichts zur Sache, denn wir haben sie wohl alle häufiger oder zumindest das eine oder andere Mal, diese Gedanken "Was tue ich da meinem Kind gerade an?", "War es wirklich die richtige Entscheidung", "Wird es nicht doch vielleicht mehr Schaden nehmen als wir dachten?" verbunden mit Schuldgefühlen, die uns im Magen drücken. 

Sicher, diese Auslandserfahrung ist unbezahlbar. Unsere Kinder bekommen einzigartige Einblicke in andere Kulturen und ausserdem erlernen sie wertvolle Kompetenzen. Alles sehr hilfreich- fürs spätere Leben. Wenn uns die Zweifel und Schuldgefühle überkommen ist das spätere Leben in der Regel noch weit weg und wir kämpfen im Hier und Jetzt mit den Herausforderungen die ein Auslandsumzug eben auch mit sich bringt. Beziehungsweise nicht nur wir kämpfen, sondern auch unsere Kinder. Wir sehen sie leiden und wir als Eltern sind ja quasi Schuld an ihrem Leiden, weil wir uns für den Auslandumzug entscheiden haben und deswegen neben all dem Segen auch dieses Leid über sie gebracht haben. Bei älteren Kindern sehen wir uns gar manchmal mit dem direkt ausgesprochenen Vorwurf konfrontiert.

"Ihr seid schuld, dass es mir so besch....eiden geht!"

Das sitzt. Doch was verursacht eigentlich dieses Leiden und diesen Ärger? Meine Vermutung und die Vermutung vieler Psychologen auf diesem Gebiet ist: die Trauer darüber, dass Veränderung stattgefunden hat. Die Trauer darüber, dass durch diese Veränderung Dinge zurück gelassen werden mussten, dass man durch den Verlust des vertrauten Alten gezwungen ist, sich Neuem, Unbekannten zu öffnen und anzupassen. Auch wenn wir den Trauerprozess schon im Vorfeld vor dem Umzug eingeleitet haben, ist er nach dem Umzug immer noch da oder nimmt - vor allem bei kleinen Kindern- erst noch einmal zu, weil den Kindern nun die wirkliche Tragweite des Umzugs bewusst wird.

Was können wir Eltern hier tun? Wir könnten die Veränderung rückgängig machen, also den Auslandsumzug abbrechen und zurück ins altgewohnte Leben gehen. Machen wir aber höchstwahrscheinlich trotz allem nicht. Können wir vielleicht auch nicht. Zu viel Logistik, zu viel Kosten, zu lange Trennung als Familie oder ähnliches.

Was also tun, um das Leid wenigstens ein bisschen wieder gut zu machen? Die Antwort liegt näher als man denkt: für unser trauerndes Kind da sein. 

Für unser Kind "da sein"- Dinge, die wir tun können, um das Leid unseres Kindes zu lindern

1. Präsent sein für unser Kind. Ihm zur Seite stehen. Mental und körperlich. Auch wenn es uns Eltern im Herzen wehtut den Schmerz unsere Kinder hautnah mitzuerleben- unsere Nähe und unser Mitfühlen ist für sie eine der wichtigsten Stützen um ihre Trauer verarbeiten zu können.

 

2. Bestärkend zuhören. Das heißt Sätze wie "Ich weiß genau wie du dich fühlst."vermeiden. Sie sind gut gemeint, haben aber immer einen bevormundenden Unterton. Besser dem Kind zuhören und dann bestärkend antworten mit Sätzen wie " Ich kann verstehen, dass du traurig bist. Du vermisst deine Freunde, da bist du natürlich traurig."Bei kleineren Kindern ist das auch die Gelegenheit mit ihnen gemeinsam die Emotionen kennen zu lernen und zu benennen: "Weisst du wie man das nennt, was du gerade spürst? Es nennt sich Trauer. Du bist traurig, weil...." Es ist außerdem wichtig erst einmal alle Gefühle zuzulassen, auch wenn uns das manchmal schwer fällt, weil in unserer Erziehung früher bestimmte Gefühle nicht erlaubt waren (einige von uns erinnern sich vielleicht an Sätze wie "Da muss man doch nicht gleich weinen." oder "Ein Indianer kennt keinen Schmerz." oder "Hör auf dich aufzuführen wie Rumpelstilzchen."und andere). Es ist aber wichtig das Kinder ihre Gefühle zeigen dürfen, denn erst dann kann man gemeinsam daran arbeiten wie man mit den Gefühlen adäquat umgehen kann. Bestärken kann man auch durch Sätze wie "Du bist ärgerlich und frustriert, das ist normal in einer solchen Situation." Gefühle werden so als Teil unseres Seins normalisiert und nicht unter den Teppich gekehrt.

 

4. Dinge, die wir schon genutzt oder geschaffen haben um den Abschied im Heimatland zu zelebrieren, wieder zur Hand nehmen: ein Fotoalbum anschauen und in Erinnerungen schwelgen und überlegen was wir in der neuen Umgebung erleben und anschauen möchten. Die Abschiedsbriefe von Freunden lesen und (Antwort)briefe verfassen (die dann abgeschickt werden oder auch nicht). Bei kleinen Kindern Erinnerungsstücke zur Hand nehmen und damit spielen. Sie können diese vielleicht auch zum einschlafen mit ins Bett nehmen dürfen z.B. der Stein vom Spielplatz oder die Flasche mit der Erde aus dem Garten. 

 

3. Verdeutlichen wir unserem Kind, dass sich nicht alles geändert hat. Wir haben zwar das Land, die Kultur und die Sprache gewechselt, aber innerhalb der Familie gibt es viele Dinge die gleich geblieben sind: die Liebe zueinander, die gemeinsamen Rituale, die Hobbies,.... Wenn es den Kindern sprichwörtlich den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht, ist es gut wenn sie etwas haben woran sie sich festhalten können. Eine stabile Familienstruktur bietet hier den wichtigsten Halt. Die meisten Expatfamilien können ihren Kindern diese sichere Familienstruktur bieten. Schwierig wird es wenn durch eine Trennung/Scheidung oder dem Tod eines Elternteils ein Umzug oder Rückumzug in ein anderes Land ansteht. Hier ist es ratsam sich professionelle Hilfe zu holen, die dem Kind hilft diese immense Herausforderung zu meistern.

 

Und zum Schluß 4.

Dieser letzte Punkt fällt häufig unter den Tisch, da er im neuen Alltag unter geht. Doch Trauer ist nicht nach 6 Wochen erledigt, auch nicht nach 6 Monaten, oftmals nicht einmal nach einem Jahr. Das wissen all diejenigen, die bereits um einen ihnen nahestehenden, verstorbenen Menschen getrauert haben. Jeder Mensch trauert unterschiedlich lange und Kinder trauern noch dazu anders als Erwachsene. Es ist weniger ein stringenter Trauerprozess bei Kindern als vielmehr ein clusterartiges Aufflammen der Trauer. Wir Eltern denken dann oft, der Schmerz sei schon überwunden, weil die Kinder sehr schnell auch wieder fröhlich durch die Gegend hüpfen. Hilfreich ist es daher auch nach 6 Monaten und nach 12 Monaten die Frage zu stellen: " Und wie geht es dir inzwischen, jetzt wo wir 6 Monate/12 Monate hier leben?" Wir als Eltern können dadurch erfahren, ob unser Kind immer noch trauert und gleichzeitig bietet diese Frage die wunderbare Chance auf ein Gespräch in dem man rückblickend feststellen kann welche positiven Fortschritte in den letzten Monaten gemacht wurden, welche Hürden gemeistert wurden, obwohl sie damals unüberwindbar erschienen. Sprachlich und sozial hat sich mit Sicherheit einiges getan und es ist schön festzustellen, dass das Kind inzwischen alles verstehen kann was ihm in der neuen Sprache gesagt wird und es sich inzwischen auch gut verständigen kann, obwohl es am Anfang kein Wort verstanden hat und oft verzweifelt und hilflos war, weil es sich nicht verständlich machen konnte. Auch die Tatsache, dass es neue Freunde gefunden hat kann besprochen werden. Ein solcher positiver Rückblick macht unseren Kindern deutlich, was sie geschafft haben und worauf sie stolz sein können. Es lässt sich damit wunderbar ihr Selbstvertrauen stärken: "Schau was du geschafft hast, obwohl es am Anfang unmöglich erschien. Du kannst alles schaffen was du willst. Du bist stark!"

Trauer bewältigen um wieder aufzublühen

Zu guter Letzt hilft der bewusste Umgang mit der Trauer unserer Kinder nicht nur ihnen sondern auch uns Eltern, uns mit unserer Trauer auseinanderzusetzen. Denn ja, auch wir müssen trauern. Jeder Mensch, ob groß ob klein, muss erst seine Trauer bewältigen um wieder aufblühen zu können.